Tuesday, September 04, 2007

Ein Versuch über das Glück I:

Über die Enttäuschung.

Ich spüre immer mehr, dass das prägende Wort in meinem Leben die Enttäuschung ist und dass ich dabei allmählich das Glück wiederfinde. Dieser Satz scheint zuerst höchst paradox zu sein, da die Enttäuschung normalerweise als Bekenntnis des Scheiterns gesehen wird, was ja ziemlich wenig mit Glück zu tun hat. Ganz im Gegenteil stellt der Satz aber gerade den Aufbruch zu einem frölicheren Verständnis her, der wichtige Facetten eines reflektierten Lebens vereint.

Das fröhliche Verständnis bedarf also Erläuterung. Dabei ist unser Anfangsansatz denkbar einfach, wir verlangasamen etwas und bedenken das Wort, worum es eigentlich geht, wohl im ursprünglichen Sinne: die Ent-täuschung. Eine Enttäuschung ist also eine Ent-täuschung, die Verlust einer Täuschung, also eine Rückführung in einen Zustand des Wahren, das heisst eine widergefundene Bindung zwischen zwei Punkte. Weil es um eine Verbindung geht, geht es um eine Begegnung und dadurch die Beendung eines Zustands der Einsamkeit. Die Täuschung, durch eine Tat, die immer unmittelbar vor ihr steht, begegnet das Wahre und geht zu Ihm über. Das Treffen von Täuschung und Wahrheit ist somit auch eine Versöhnung, zwischen uns und die Wahrheit. Wir spüren also in diesem Sinne den Anfang eines Glücks, vielleicht nicht gleich (denn wir verlieren ja die Täuschung!), sondern - und dies ist das Wesentliche - in der Gesamtheit. Weil uns aber jede Enttäuschung nur wenig weiterbringt, wollen wir so oft wie möglich ent-täuscht werden.

Nehmen wir also einen Schritt zurück. Wozu führt denn unsere Überzeugung - unsere Suche nach dem Glück, was eine ständige Begegnung zwischen Wahrheit und Täuschung nötig macht? Führt nicht unser Drang, diese neubekundete Liebe zum ent-täuscht Werden zur Apathie? Wiederum muss man sagen, vonnichten, ganz und gar im Gegenteil! Unser Liebe zur Ent-täuschung führt dazu, dass wir uns das Leben annehmen, die Ent-täuschung suchen, indem wir sie wollen. Indem wir die Mut haben, das Glück des Ent-täuschten zu suchen und uns als Ziel setzten, das Törichte, Gestellte und Oberflächlich-gemeinte aufzugeben. Wir wenden uns das Wahre zu. Und je mehr wir das machen, desto weniger werden unsere Enttäuschungen das Bild ähneln, das wir am Anfang von Ihr hatten. Wir werden sogar entdecken, dass auch die Situationen, wo uns unerwartet Gutes zustösst, ebenfalls Ent-täuschungen sind. Wir werden, falls wir dies erkannt haben, hoffend in die Welt hinausgehen, um das Wesentliche zu machen: leben, nicht nur, um zu suchen, sondern um zu versuchen.

Ein Versuch über das Glück II:

Über die Erfahrung.


Wir leben also nicht lediglich um zu suchen, sondern um zu versuchen: durch das Versuchen wird das Leben überhaupt zum Erfahrenen.

Die Wissenschaft hat panische Angst davor, während des Experimentierens das zu Untersuchende zu verändern. Unser Leben soll aber reicher sein als ein wissenschaftes Experiment: wir müssen gerade darauf achten, wie unsere Versuche auch verändern können, sowohl uns selbst als auch das zu Untersuchende. Erfahrung ist vor Allem die Beobachtung davon, wie unsere Versuche das zu Untersuchende zu verändern vermag.

Die so gewonnene Erfahrung ist Quelle der Stärke für das Leben; die Erfahrung ist eine von uns selber, für uns selbst gewonnene Erkenntnis, in form einer Historie. Diese Historie, wenn auch subjektiv, entfaltet dennoch auf uns eine unmittelbare Wirkung, die an sich nicht betrübend sein soll, weil sie den unmittelbaren Einfluss unseres Lebens und Versuchens auf andere offenbart, und uns, von uns gewollt, ent-täuscht.

Wieso sollten wir also versuchen? Wir sollten versuchen, weil das Versuchen unser Leben zum Erfahrenen Leben macht, und weil die Erfahrung, wie unsere Versuche das zu Untersuchende zu verändern vermochte, oft auch Glück genannt wird.